Freie unlösliche und schwer lösliche Nanoteilchen
aller Art, Fullerene und Nanoröhrchen aus Kohlenstoff
werden als wesentliche Gefahren für die menschliche Gesundheit
nicht nur in der Arbeitsumgebung angesehen. Die toxikologischen
Kenntnisse sind jedoch noch unzureichend.
Deshalb müssen die Expositionen gegenüber solchen
Nanopartikeln möglichst minimiert werden. Dabei gibt
es derzeit jedoch noch grundsätzliche Schwierigkeiten:
Die Grundlagen für die Routine-Messung der für Nano-Wirkungen
entscheidenden Eigenschaften und Einflussgrößen
werden erst erarbeitet. Daher fehlen einvernehmliche Standards
für Messmethoden und Messverfahren, aber auch z. B. kostengünstige
und praktische personenbezogene Messgeräte. BGIA, das
Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen
Unfallversicherung, gibt Messtechnische
Empfehlungen.
Das nanoSAFE-Projekt
brachte wichtige Hinweise für die persönliche Schutzausrüstung:
Hochleistungsschwebstofffilter und Atemschutzmasken aus faserförmigen
Filtermaterialien sind wirksam. Allerdings muss die Maske
sehr dicht auf dem Gesicht aufliegen! Schutzkleidung aus luftdichten
Vliesstoffen ist vorzuziehen, Textilien aus Baumwolle sind
zu vermeiden! Mindestens zwei Handschuhschichten sollten verwendet
werden! Die üblichen Schutzmaßnahmen
gegen Stäube sollten nach BGIA auch gegenüber Nanopartikeln
wirksam sein.
Die bestehenden Defizite und Unsicherheiten erschweren das
Risikomanagement, die Festlegung geeigneter Schutzmaßnahmen
und die Kontrolle des vorhandenen Risikos.
Solange nicht die mit konkreten Nanomaterialien in spezifischen
Anwendungen an den Arbeitsplätzen verbundenen Gefahren
bewertbar sind, ist das Vorsorgeprinzip zu befolgen. Letztlich
bedeutet dies vorerst die weitestgehende Vermeidung von Expositionen.
Nanotechnologische Produktion, vor allem Weiterverarbeitung,
wird künftig in steigendem Ausmaß in Klein- und
Mittelbetrieben stattfinden. Erfahrungsgemäß besitzen
kleinere Betriebe jedoch oft kein optimales Risikomanagement.
Sie begründen dies mit Ressourcenproblemen und halten
ihre Nano-Produkte und Nano-Arbeitsprozesse generell für
nicht sehr risikoreich. In nur wenigen Betrieben gibt es ein
nanospezifisches Risikomanagement. Dies gilt auch für
große Unternehmen, die das Fehlen von dafür notwendigen
Informationen und behördlichen Leitlinien bemängeln.
In einer österreichischen Studie von Joanneum
Research erhielt die Mehrzahl der befragten Unternehmen
von ihren Zulieferfirmen kaum spezielle Auskünfte zu
ihren nanostrukturierten Materialien.
Detaillierte Informationen über Stoffeigenschaften, Anwendungsfelder
und Schutzmaßnahmen innerhalb der Lieferkette spielen
daher eine wichtige Rolle.
Nano-Risikomanagement
Eigene Regelungen für synthetische Nanomaterialien gibt
es bisher weder im europäischen noch im österreichischen
Recht. Grundlagen fehlen noch großteils. Dennoch bleibt
aufrecht: Arbeitgeber müssen für gesunde und sichere
Arbeitsplätze sorgen und können nicht warten, bis
alle Gefahren bekannt sind. Denn die Wissenslücken lassen
sich schon allein wegen der enormen Vielfalt an Nanomaterialien
nicht kurzfristig schließen. Außerdem sind ungewisse
Risiken in der Arbeitswelt ja nichts Neues und können
nicht als Ausrede genommen werden, nichts zu tun.
Als bewährter Grundsatz bietet sich wie in allen solchen
Situationen an, dem Vorsorgeprinzip zu folgen, bis die Gefahren
von Nanomaterialien genügend beurteilt werden können.
Zuerst bedeutet dies: Solange wir nichts Genaues wissen, sind
Expositionen grundsätzlich zu vermeiden bzw. so gering
wie möglich zu halten. Kurz gesagt, Beschäftigte
sollen Nanomaterialien gar nicht erst ausgesetzt sein.
Wie das aber in der Praxis umsetzen, wenn eine genaue Gefährdungsbeurteilung
nicht möglich ist? Eine strukturierte Vorgangsweise im
Risikomanagement folgt bekannten Prinzipien und Verfahren
und passt sie an die Nano-Besonderheiten an: Also ein stufenweises
Vorgehen unter Berücksichtigung der verschiedenen Expositionswege
und Einflussfaktoren, und beruhend auf Ermittlung von Gefahren
und Risikoeinschätzung wie gehabt.
Dieser Ansatz ist flexibel zu verstehen, und das Vorgehen
muss revidiert werden, wenn es etwa neue Erkenntnisse über
verwendete Nanopartikel gibt oder der Markt praktikable Messgeräte
anbietet.
Die üblichen Prinzipien des ArbeitnehmerInnenschutzes
wie die Maßnahmenhierachie, der Vorrang kollektiver
vor individuellen Maßnahmen oder Hygienemaßnahmen
sind sinngemäß anzuwenden. In Umsetzung der alt
hergebrachten Hierarchie von Maßnahmen, die ja auch
nichts anderes als eine praktische Anwendung des Vorsorgesprinzips
ist, sind zuallererst Substitutionsmaßnahmen zu setzen.
Der Ersatz von Arbeitsstoffen erfordert ausreichendes Wissen
über die alternativen Materialien, das derzeit zumeist
noch nicht vorhanden ist. Umso dringlicher ist eine verfahrensseitige
Substitution durch Einsatz von wässrigen Suspensionen
bzw. von Granulaten, Pasten oder Dispersionen statt pulverförmiger
Stoffe. Oder die Bindung von Nanomaterialien in Lösungsmitteln
oder an Polymere.
Analog sind organisatorische und technische Schutzmaßnahmen
anzupassen, z. B. mittels geschlossener Apparaturen bzw. Absaugung
an der Quelle.
Besonders zu beachten sind Schnittstellen mit Beschäftigten
wie beispielsweise Füllvorgänge, Probenahmen, Reinigung,
Wartung und Instandhaltung. Falls nötig, ist geeignete
Persönliche Schutzausrüstung zu verwenden, wie vorher
beschrieben.
Im Folgenden werden Strategien und Werkzeuge des Risikomanagements
für Nanomaterialien präsentiert, z. B. Leitfäden
oder Beispiele Guter Praxis.
Vorläufige
Empfehlungen zum Schutz der Arbeitnehmenden, die auf dem
aktuellen Stand der Kenntnisse beruhen, hat die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt SUVA veröffentlicht
(letzte Aktualisierung im September 2009).
Der von der BASF AG erstellte Leitfaden
zur sicheren Herstellung und bei Tätigkeiten mit
Nanopartikeln an Arbeitsplätzen soll bei staubförmigen
freien Nanopartikeln oder Produkten, die diese enthalten,
angewendet werden. Er zielt auf ein konsequentes Minimierungsgebot,
wie die folgenden Ausschnitte zeigen: |
|
Eine erhöhte inhalative Exposition muss durch geeignete
Schutzmaßnahmen ausgeschlossen werden, weil bei
der Inhalation staubförmiger Nanopartikel ein gesundheitliches
Risiko nicht ausgeschlossen werden kann. Bis entsprechende
Luftgrenzwerte vorliegen, sollte die Exposition der ArbeitnehmerInnen
die unbelastete Umgebungsluft nicht überschreiten. |
|
Nanopartikel werden soweit möglich in geschlossenen
Systemen hergestellt und verwendet, weil dies als emissionsfrei
eingeschätzt wird. |
|
Für bestimmte Tätigkeiten wie Ein- oder Abfüllen,
Mahlen, Konfektionieren oder bei Probenahme geht dies
nicht und eine Staubemission ist möglich. Dann sind
zusätzliche technische oder organisatorische Maßnahmen
zur Staubminderung, z. B. zusätzliche Objektabsaugungen,
einzusetzen. |
Im Frühjahr 2006 führten die Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und der Verband der
Chemischen Industrie (VCI) gemeinsam eine Umfrage zum Arbeitsschutz
beim Umgang mit Nanomaterialien unter den Mitgliedsunternehmen
des VCI durch. Für Herbst 2009 wurde von beiden Einrichtungen
die Durchführung einer zweiten Fragebogenaktion angekündigt.
Die Auswertung der Fragebogenaktion bildete die Grundlage
für einen Leitfaden
für Tätigkeiten mit Nanomaterialien am Arbeitsplatz,
der von BAuA und VCI im August 2007 veröffentlicht
wurde. Er gibt aufgrund des derzeitigen Kenntnisstandes von
Wissenschaft und Technik Hinweise, Empfehlungen und Handlungsanweisungen
zur Herstellung und Verwendung von beabsichtigt hergestellten
Nanomaterialien. Der Leitfaden soll laufend aktualisiert und
weiter spezifiziert werden.
Nützliche Informationen und Links bietet Hessen-Nanotech
auf seiner Website.
Gewerkschafts- und NGO-Positionen
Wegen der vielen offenen Fragen ist Nano auch für Gewerkschaften
und Nicht-Regierungsorganisationen ein Top-Thema!
Im Rahmen des NanoCap-Projekts wurden gewerkschaftliche Aktivitäten
in Österreich unterstützt:
Der ÖGB Oberösterreich hielt im Juli 2007
eine Pressekonferenz ab, um auf den derzeitigen mangelhaften
Wissensstand über Nanomaterialien hinzuweisen. Er forderte
unter anderem eine Erhebung zu Nano-Betrieben, strikte Schutzmaßnahmen
für ArbeitnehmerInnen, sowie verbindliche einheitliche
Regelungen und Vorschriften (Presseaussendung).
Eine im Sommer 2007 eingereichte Parlamentarische
Anfrage betraf den verantwortungsvollen Umgang mit Nanotechnologien
bzw. Nanomaterialien in Österreich. BMWA
und BMGFJ
sahen in ihren Antworten keinen aktuellen rechtlichen Veränderungs-
oder Anpassungsbedarf. Das BMWA plante damals keine speziellen
ressorteigenen Erhebungs-, Forschungs-, Überprüfungs-,
Monitoring- oder Informationsvorhaben und hielt die bestehenden
Regelungen und Strukturen für ausreichend.
Eine zweite
Parlamentarische Anfrage wurde im Juni 2008 vorgelegt.
Sie richtete sich an das Umwelt- und an das Innovationsministerium.
Weder das BMLFUW
noch das BMVIT
planten damals österreichische Erhebungen oder Monitorings
zum Einsatz von Nanotechnologien. In Bezug auf den Regelungsbedarf
von Nanomaterialien wurden auf den laufenden Diskussionsprozess
innerhalb der EG verwiesen. Dies galt auch für die Kennzeichnung
von Nano-Produkten.
Im Herbst 2008 wurde, organisiert vom BMLFUW, mit der Ausarbeitung
eines österreichischen Nano-Aktionsplans begonnen! Damit
wird die im letzten Regierungsprogramm formulierte Absicht
umgesetzt, und Österreich folgt endlich dem Vorbild anderer
europäischer Staaten. Der österreichische
Nano-Aktionsplan wird Anfang November 2009 zur öffentlichen
Stellungnahme ins Internet gestellt und soll bis Ende 2009
vom Ministerrat unterschrieben werden.
Der Europäische Gewerkschaftsbund
(EGB) veröffentlichte Ende Juni 2008 ein erstes Positionspapier
zu Nanotechnologien und Nanomaterialien: Im Mittelpunkt steht
die Anwendung des Vorsichtsprinzips auf Nanotechnologien.
Detaillierte Forderungen befassen sich unter anderem mit der
Berücksichtigung von Nanomaterialien in der Europäischen
Chemikalienregelung REACH, mit der Änderung der EG-Richtlinie
über chemische Arbeitsstoffe, mit Beteiligung, Information
und Qualifizierung von Beschäftigten, sowie mit mehr
öffentlichen Mitteln für die Erforschung von Nano-Auswirkungen
auf Mensch und Umwelt. »mehr«
An der NanoCap-Konferenz am 2.April 2009 im Europäischen
Parlament nahmen 250 TeilnehmerInnen aus 32 Ländern teil.
Der EGB
und beteiligte Gewerkschaften waren sich einig, dass das Vorsorgeprinzip
für eine verantwortungsvolle Entwicklung von Nanotechnologien
oberste Priorität besitzt! Tagungsbericht, Positionspapiere
anderer Stakeholder und Vortragsfolien der Konferenz wurden
in englischer Sprache unter Final
Conference auf der internationalen NanoCap-Website veröffentlicht.
Der 25.Kongress der IUL, der weltweiten Gewerkschaft
der Lebensmittel-, Landwirtschafts- und HotelarbeitnehmerInnen,
sprach sich im März 2007 für ein internationales
Moratorium aus, das die Kommerzialisierung von Nano-Produkten
so lange aufschiebt, bis ihre potenziellen Gefahren und längerfristigen
Auswirkungen zur Gänze bekannt sind. Die meisten Gewerkschaften
stehen Nanotechnologien jedoch differenzierter gegenüber!
Die IG Metall forderte in Deutschland in einer Analyse
absolute Priorität für eine konsequente Risikoerkennung
und -vermeidung als unverzichtbare Voraussetzung für
eine nachhaltige Realisierung des Entwicklungspotenzials der
Nanotechnologie.
Auch die deutsche IG BCE
(Bergbau, Chemie, Energie) sieht in ihrem Nano-Positionspapier
vom Juni 2008 einen Handlungsbedarf im Bereich Arbeitsschutz.
Der Australische Gewerkschaftsbund ACTU stellt, zuletzt in
einem Workshop
im Februar 2009, für den Umgang mit Nanotechnologien
und Nanomaterialien ähnliche Forderungen wie der EGB.
Im Frühjahr 2007 verlangte ein Bündnis von
44 nationalen und internationalen Gesundheits- und Umwelt-NGOs,
sowie Gewerkschaften eine strenge,
umfassende Regulierungskontrolle aller Stufen der Nanotechnologie
und ihrer Produkte.
Ein von österreichischen NGOs im Dezember 2007
erarbeitetes Positionspapier
geht auch auf Arbeitsaspekte ein.
|