Gesundheitsförderung und / statt / gegen ArbeitnehmerInnenschutz
Häufig trifft man auf Versuche, BGF und ArbeitnehmerInnenschutz in einen Gegensatz zu stellen. Für die betriebliche Gesundheitsarbeit insgesamt ist dieser Scheingegensatz nicht hilfreich.
Die Grundüberlegungen für das Konzept der BGF stammen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Bereits in den 1980er Jahren hat sie gezielt Strategien entwickelt, um Gesundheit in den verschiedenen Lebensbereichen zu fördern. Menschen sollten dort angesprochen werden, wo sie sowieso zusammenkommen: in der Schule, in der Gemeinde, im Betrieb. Die dort jeweils existierenden Strukturen, Abläufe, Netzwerke und Erfahrungen sollen gezielt genutzt werden, um für die beteiligten Menschen gesündere Arbeits- und Lebensmöglichkeiten zu entwickeln. Die Stärken eines solchen Herangehens zeigen sich (auch) in kleinen Unternehmen.
Wesentliche StakeholderInnen in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit sind: Die MitarbeiterInnen (als unmittelbar Betroffene), die Unternehmensleitung, Betriebsräte/BetriebsrätInnen (sofern solche gewählt worden sind), schließlich die Präventivdienste.
In der Ottawa-Charta hat die WHO 1986 ein sehr brauchbares Bündel von Strategien beschrieben, das Gesundheitsförderung (Health Promotion) vor allem als Entwicklung einer gesunden Organisation definiert:
- Gesunde Politik formulieren: Die EntscheidungsträgerInnen führen das Unternehmen in die Zukunft. Es liegt daher an ihnen, auch für Gesundheit und Sicherheit Ziele und Leitlinien zu formulieren, sie im Betrieb bekanntzumachen und zu ihrer Umsetzung beizutragen (Stichwort „Leitbild“).
- Gesunde Umgebungen schaffen: Die technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen stehen hier auf dem Prüfstand. Dazu gehören selbstverständlich auch Regeln und Vorgaben, die die Abläufe im Unternehmen bestimmen.
- Persönliche Fähigkeiten entwickeln und stärken: Wissen und Fähigkeiten bringen die MitarbeiterInnen beim Eintritt in das Unternehmen mit, die technische, organisatorische und soziale Entwicklung macht es aber notwendig, für die Weiterentwicklung dieser Fähigkeiten zu sorgen. Gerade in den IT Branchen veraltet Fachwissen rasch, und Vieles, was Menschen an sozialer Kompetenz einbringen sollen, müssen sie zusätzliche erwerben (Fähigkeiten zur Kommunikation, zur Arbeit in Teams, zum Umgang mit Stress, zum Selbstmanagement, zu gesundem Verhalten usw.).
- Anpassen der professionellen Dienste (im Betrieb: Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik, Arbeitspsychologie) an die Anforderungen, die ein gesunder Betrieb an sie stellt.
ArbeitnehmerInnenschutz hat eine weit längere Geschichte: Seit mehr als 100 Jahren schreiben gesetzgebende Körperschaften in den industrialisierten Ländern den Unternehmen vor, wie sie mit Gesundheit und Sicherheit im Betrieb umgehen sollen. Gleichzeitig richten sie Behörden ein, die die Einhaltung dieser Vorschriften überwachen (Arbeitsinspektorate) und entwickeln Rechts- und Versicherungssysteme, mit denen im Schadensfall Entschädigungen erlangt werden können. Die Rahmenvorschriften für Österreich gelten für ALLE Unternehmen, man findet sie im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (kostenlos erhältlich als Merkblatt M 030 der AUVA).
Das BGF Methodenset, basierend vor allem auf stärkerer und systematischer Beteiligung der MitarbeiterInnen (im Weg der Erhebung des IST-Zustands, der Veröffentlichung eines Gesundheitsberichts und vor allem über die Gesundheitszirkel) bietet die Chance, den traditionell stark expertInnenorientierten ArbeitnehmerInnenschutz um die Ideen der MitarbeiterInnen zu erweitern und gleichzeitig bei vielen Maßnahmen dadurch auch die Umsetzbarkeit zu erhöhen. Darüber hinaus bieten vor allem die Gesundheitszirkel eine Chance, den sowieso gesetzlich vorgeschriebenen ArbeitnehmerInnenschutz wirksamer zu gestalten:
- Wo nicht allein technisch messbare Parameter erfasst und bewertet werden müssen (z.B. bei den Einflüssen von sozialen oder psychischen Faktoren auf die Gesundheit, etwa beim Vorgesetztenverhalten);
- Wo Abläufe ganze Personengruppen betreffen und eher Schnittstellen und die Organisation der Zusammenarbeit gesundheitlich relevant sind als die Verhältnisse an einzelnen abgegrenzten Arbeitsplätzen;
- Wo Rahmenbedingungen außerhalb einzelner Arbeitsplätze bearbeitet werden sollen (Klima; Beleuchtung);
Dass darüber hinaus in BGF-Projekten häufig auch Maßnahmen entwickelt werden, die das persönliche Wohlbefinden der MitarbeiterInnen positiv verändern helfen, geht über den stärker reglementierenden und auf Abwehr von Gefahren zielenden Arbeitsschutz hinaus. Dies ist allerdings durchaus im Sinn eines Gesundheitsverständnisses, nach dem gesunde Menschen unter gesunden Rahmenbedingungen produktiv tätig sein sollen.